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Seien wir mal ehrlich: Das Leben auf dieser Erde ist oft kein Zuckerschlecken. Das ist eine der Lebenswahrheiten, die uns immer begleiten werden, in jedem Alter. Und diese Wahrheit ist so altbekannt und grundlegend, dass Shakyamuni Buddha es als die erste noble der vier Grundwahrheiten unserer Existenz beschrieben hat: „Die Welt ist voller Leid.“ Und damit fängt das ganze Schlamassel an: Wenn ich vergesse, dass das Leben nicht dafür gemacht ist, dass alles in meinem Sinne glatt läuft, dann bin ich schnell in einem unangenehmen Zustand. Was erwische ich mich manchmal, wenn ich mich in dem Zustand befinde, wo mein inneres Radio ein Klagekonzert spielt: „Ach, das muß ich heut noch machen. Und das hab ich wieder verschoben. Und das hab ich nicht richtig gemacht. Und XY hat nicht gemacht, wie ich will. Und XYZ war gestern nicht gerade hilfreich….“  Und da erlebe ich die Gestalthaltung als einfach und sofortig heilsam: Hier und Jetzt – das ist alles, was ich bewältigen brauche. Atmen – und erleben. Machen, was ich gerade mache. Und das ganz und gar. Ich mit mir hier. Mehr nicht.

Aber so einfach ist es eben nicht, das Einfache dem Komplizierten und Vertrauten vorzuziehen. Es ist eben schwierig, das Einfache einfach zu machen. Das hat ja auch seine Geschichte. Und es hat mit der Vorstellung zu tun, dass wir lieber nur die netten und angenehmen Dinge tun, und die problematischen lieber auf die lange Bank schieben in der Hoffnung, dass die Probleme hinten runterfallen und sich im Nichts auflösen. Schön wär’s ja schon. Funktionieren tut’s nur nicht. Das Leben ist eine Reihe voller Schwierigkeiten. Schwierigkeiten sind Herausforderungen? Was macht das Schwierige schwierig? Es ist die menschliche Neigung, sich dem nicht aussetzen zu wollen: Schwierig sind eben die Gefühle von Frust, Kummer, Trauer, Angst, Schuldgefühle, Zorn, Qual oder Verzweiflung. Klar, diese Gefühle sind unangenehm, sie sind oft so unangenehm, dass wir – vielleicht ohne uns dessen bewusst zu sein - meinen, es nicht aushalten zu können. Wenn wir aber nicht anders können, und uns die Probleme einholen, tun sie oft so weh, wie körperlicher Schmerz, manchmal sogar wie unendlich großer körperlicher Schmerz. Deswegen gehen wir lieber weg davon. Verständlich. Wir suchen den Ausweg, indem wir den Dingen, die diese Konflikte oder Schmerzen auslösen, aus dem Weg gehen. So befinden wir uns oft auf der Vermeidungsflucht vor Schmerzlichem. Auch da ist die Gestalthaltung sehr heilsam: „Laß dich ein auf Unerfreuliches und auf Schmerz, genauso wie auf Freude.“ Klingt das nicht paradox? Ja. Der Gestalttherapeut Arnold Beisser hat das ausformuliert, was wir die „paradoxe Theorie der Veränderung“ nennen. Wegzurennen vor dem, was aber doch da ist und wirklich existiert, auch wenn es weh tut, bringt uns zu uns selbst zurück. Die Anteile, die ich nicht haben wollte, sind dennoch meine, und wenn ich sie wieder zulasse, erlebe ich zwar erstmal den Schmerz, aber der vergeht und was bleibt, ist die Kraft, die ich durch die Integration zurückgewonnen habe. So werden wir vollständiger. Und vollständiger zu sein, bedeutet anders zu sein als unvollständiger.  Wenn ich vollständig werde, was ich bin, bin ich schon ein anderer.  Das ist es, womit ich hier bin: ich selbst zu sein und es immer mehr zu werden, und meine Klienten unterstütze ich ebenso in diesem Prozeß, mehr sie selbst zu sein und zu werden. Ich gehe davon aus, dass der enge Kontakt, den ich mit meinem Klient/meiner Klientin habe, sowohl meine Klientin/meinen Klienten als auch mich verändern wird. Je offener wir sind für das, was ist, desto eher werden sich Türen öffnen.